Ein
ironisches “Viel Spass” und ein blasierter “Du hast ins Klo gegriffen
und ich
nicht”-Blick, waren die Äusserungen, mit denen mich der
Lufthansa-Purser verabschiedete, als ich im März 1996 die
Aluminiumröhre der Boeing 747 auf dem
Flughafen Shanghai-Hongqiao verliess.
Und
wirklich, ich hatte keinen Schimmer, was mich da draussen so erwarten würde.
Als
ich dann allerdings abends am Westufer des Huangpu Rivers stand und auf die
Industriebrache am Ostufer blickte, vorbei an Schleppern, die, aufgereiht wie
Perlen an einer Schnur, vollbeladene Kiesschuten hinter sich herzogen, konnte
ich den Beginn eines Umbruchs vor mir sehen.
Denn
unmittelbar hinter der ersten Uferreihe ragten unzählige Baukräne in den
Himmel, die rhythmischen Schläge von Dampframmen drangen über den Fluss. Sie
legten die Fundamente in den Deltaschlick, auf dem bald die Wolkenkratzer mit
ihren glänzenden Fassaden die Kulisse einer neuen Zeit bilden sollten.
Noch
aber war das Ostufer des Flusses gesäumt von Hafenbecken, Kohlehalden und
Schrottbergen. Hinterlassenschaften der hektischen Industrialisierung Shanghais,
Staatsdoktrin der Kommunistischen Partei unter Mao, mittlerweile so obsolet wie
die Ideologie von Kulturrevolution und sozialer Nivellierung.
An
diesem Abend am Bund, wurde mir klar, daß ich Zeuge wurde vom Aufstieg Chinas
zu einer globalen Wirtschaftsmacht.
Zur
richtigen Zeit am richtigen Ort, nicht oft ist Einem das vergönnt.
![]() Das alte Shanghai: Jugendstilfassaden an der Ecke Nanjing Lu und Renmin Square. | ![]() Das neue Shanghai: Zubringer zur Stadtautobahn. |
Das
meiste habe ich natürlich nicht fotografiert. Es waren weder Hemmungen noch
Verbote, die mich davon abgehalten haben, sondern die schlichtweg die schiere
Menge an aussergewöhnlichen Szenerien, die mich manchmal daran hinderte, den
Auslöser zu drücken.
In
dem Scheren- und Messerladen auf der Nanjing Lu zum Beispiel, in dem die
Verkäuferin den Preis auf einen Zettel notierte, den mit einer Stahlklammer an
das Drahtseil hing, das im ganzen Laden an der Decke umlief und mit einem
kräftigen Schubs Richtung Kasse
beförderte, wo eine andere Verkäuferin die Preise der Einzelposten mit Hilfe eines
Holzabakuses addierte.
Millionen
von Fahrrädern waren allgegenwärtig; robuste, schwarz lackierte Vehikel mit
viel Chrom. Sie teilten sich die Straße mit den kantigen VW Santana, die beim
lokalen Volkswagen- Joint Venture vom Band liefen und als Taxis unterwegs
waren.
Und
die Veränderung war zu spüren, die in der Luft lag. Überall wurde abgerissen
und neu gebaut. Nur noch alte Männer trugen die blaue Mao-Kutte. Die erste
Linie des heute längsten städtischen U-Bahnnetzes der Welt war gerade in
Betrieb gegangen. In den Hotels gaben sich die internationalen Geschäftsleute
die Klinke in die Hand.
Mit
meinen Bildern möchte ich etwas vom Flair der Zeit herüberbringen. Schauen Sie
doch mal weiter und schreiben Sie mir gerne Ihre Meinung dazu!
![]() Blick von der Nanpu Bridge über den Huangpu River nach Nordosten. Ozeanschiffe fahren dort nicht mehr. |
![]() !996 noch allgegenwärtig: Auslieferung von Waren mit dem Lastenfahrrad. | ![]() 1996, innerstädtisches Wohnviertel. Die Häuser aus den 30´er Jahren sind heute verschwunden. |
![]() Weg mit dem alten Gelumpe! Viele Baukräne der Welt konzentrierten sich in den 90´ern in Shanghai. |
![]() Das Bild eines chinesischen Klischees. Und Zeugnis einer vergangenen Zeit. Zhongshan Xi Lu Ecke Cao Xi Bei Lu, 1996 |
Nicht unbedingt nur Gutes raunt man sich in
China ueber die Einwohner Shanghais zu: Die Maenner schroff, die Frauen
berechnend und alle nur auf’s Geld aus, so einige der Stereotypen.
Ein Koernchen Wahrheit ist da schon dran,
meiner Erfahrung nach. Aber warum soll es in Shanghai anders sein als, naja, in
Frankfurt? Es war und ist nun mal die internationalste, wohlhabendste Stadt
Chinas. Geld und Chique liegen in der Luft, Understatement nicht. Die, die was
haben, zeigen es, sei es nun in Form des Ferraris, der an der Ampel aufheult,
oder durch das Chanel-Kleidchen, mit dem auf der Huaihai Lu flaniert wird.
Das war schon so, als ich vor 25 Jahren die
ersten Male staunend durch die Stadt lief und mit meiner Pentax das machte, was
sich heute “Street Photography” nennt: Schnappschuesse von Menschen in ihrer
Umgebung.
Es war eine Zeit des Aufbruchs: Alte
Maenner in blauen Mao-Anzuegen neben Frauen mit rot geschminkten Lippen, die das
Designer-Handtaeschchen neben sich an der Schulter baumeln liessen.
Meine Kamera hat pausenlos geklickt. Die
Szenen auf den Strassen waren skurril, exotisch und so ganz anders als daheim.
Glauben Sie mir: Ich habe es genossen!
![]() Nanjing Lu, Ecke Sichuan Lu; heute Banken und Versicherungen, früher ehrliche Arbeit: Mit dem Fahrrad liefert er frisch gefärbte Fasern aus. |
![]() Die tiefstehende Herbstsonne auf der Nanjing Lu zaubert attraktive Szenerien. |
![]() Rasant halten die kulturellen Errungenschaften der Moderne Einzug. Nanjing Xi Lu 1996. |
![]() Die Zeiten ändern sich. Sichuan Lu, 1996. |
![]() Ein klein wenig Skepsis bleibt noch. Nanjing Xi Lu, 1996. |
![]() Optimismus, Fashion und Konsum befeuern den Boom. Nanjing Xi Lu, 1996. |
![]() Irgendwo in der Altstadt, 1996. |
![]() Seine Tage waren gezählt. Bald schon bevorzugen die Kunden beim Haareschneiden coole Musik, verchromte Armaturen und Klimaanlage. Altstadt, 1996. |