Spätabends
bei Livemusik im „House of Blues & Jazz“ oder nachmittags beim Kaffee im
Jugendstilambiente des „Peace Hotel“ blitzt sie manchmal ganz kurz auf, die
Ahnung an die Ära, als es in Shanghai hoch herging.
Es waren die
20´er und 30´er Jahre, der 1. Weltkrieg vorbei, am Horizont aber schon die
nächste Katastrophe zu erahnen. Die Kolonialreiche bäumten sich noch ein
letztes Mal auf und arrangierten sich mit der chinesischen Nationalregierung.
Franzosen,
Engländer und Amerikaner hatten ihre Konzessionen, waren aber nur Statisten im
Spiel der chinesischen Triaden; Shanghai war „Gangland“. Die westliche Fuzhou
Lu macht heute auf harmlos mit Geschäften für Kunstbedarf und Accessoires für
die Teezeremonie, damals aber war sie eine Ansammlung unzähliger Bordelle und
Opiumhöhlen. Und klar, alle haben mitverdient.
1949 dann das
Ende. Die Kommunisten übernahmen die Macht. Shanghai fiel in einen
Dornröschenschlaf, aus dem es erst 40 Jahre später wieder erwachte, als Deng
Xiaopings Politik der Öffnung begann.
Zeugen dieser
wilden Jahre sind heute noch viele erstaunlich gut erhaltene Gebäude aus dieser
Zeit. Steigen sie an der Station „East Nanjing Lu“ aus der U-Bahn und
schlendern Sie durch die Seitenstraßen dort. Es ist eine Zeitreise!
Gao An Lu, ehem. Französische Konzession. Beschaulich geht es in dieser Ecke Shanghais zu. |
Prospektbilder
von Shanghai zeigen Wolkenkratzer und breite Boulevards, moderne Glasfassaden,
in denen sich Autos und Passanten spiegeln.
Das
allerdings ist nur eine Seite der Medaille, und nicht mal die interessantere.
Viel
eindrucksvoller finde ich die Jugendstilensembles auf der westlichen Seite des
Huangpu-Flusses, an den Quer- und Parallelstraßen der Zhongshan Lu; „The Bund“, wie diese
Uferpromenade auch genannt wird.
Die
Hochhäuser dort entstanden am Beginn des 20. Jahrhunderts, als Shanghai sich
aufmachte, die Metropole Ostasiens zu werden.
Weltweit
beschleunigten damals Elektrizität, Automobile und industrielle Massenproduktion
das Leben in einem nie dagewesenen Tempo, dem der alte Historismus nichts
entgegenzusetzen hatte. Als Reaktion entstand in Europa der Jugendstil, auch
Art Déco genannt. In der Architektur traten Stahl und Beton an die Stelle von
Natursteinen und Ziegeln.
In dieser
Epoche begannen Europäer und Amerikaner die Hafenstadt Shanghai als Sprungbrett
zur Erschliessung des chinesischen Hinterlandes auszubauen. Repräsentative, aber
auch zweckmäßige Gebäude mussten her, um die Geschäfte abwickeln zu können, und
internationale Architekturbüros nutzten die Chance.
Interessanterweise
errichteten die Baumeister in Shanghai bis in die 40´er Jahre hinein Gebäude
mit Jugendstilelementen, während in Europa nach dem 1. Weltkrieg der Bauhausstil
begann, die dominierende Stilrichtung der Architektur zu werden.
Und weil in
Shanghai während des Krieges vergleichsweise wenig zerstört wurde und die
Kommunisten später lieber kulturell demolierten, haben viele der
Jugendstilbauten bis heute überlebt. In den alten Stadtvierteln in Puxi,
zwischen Huangpu River und Suzhou Creek, findet man daher Art Déco-Bauten auf
Schritt und Tritt: säulenartige Fassadenelemente, „speed lines“ und
geschwungene Linien.
Fahren Sie
mit der U-Bahn bis „East Nanjing Lu“ und schlendern Sie durch die
Seitenstraßen, durch Fuzhou Lu, Beijing Lu, Shanxi Lu und andere drumherum. Der
Kontrast zu den modernen, immer gleichen Straßenschluchten anderer Stadtteile
Shanghais kann größer nicht sein!
Cathay Grand Theatre, Huaihai Lu/Maoming Lu Kino, erbaut 1932, Architekt C.H. Gonda |
Wohnhaus, Jugendstil Wuyuan Lu |
Hotel "Broadway Mansions" eine der Jugendstil-Ikonen Shanghais. Fertiggestellt 1934, Architekten Palmer & Turner. Davor die Garden Bridge über den Suzhou Creek, eingeweiht 1908, gebaut von der Cleveland Bridge & Engineering Company. Noch 1996 stand an der südlichen Ufermauer in chinesischen Schriftzeichen die Mahnung: "Vergesst niemals den Klassenkampf". Vergebens übrigens, wenn man sich das heutige Treiben in der Stadt anschaut. |
Hamilton House, Fuzhou Lu/Jiangxi Lu, erbaut 1933. ursprünglich Büro-, heute Wohnhaus, Architekten Palmer & Turner. In der Eingangshalle hängen noch Namensschilder aus den 40´ern. | Später Jugendstil, Französische Konzession Balkone eines Wohnhauses |
Laszlo bzw.
Ladislav Hudec, je nach Vereinnahmung durch Ungarn oder Slovaken, war der
Architekt, der mit seinen Jugendstilbauten das Shanghai des ersten Drittels des
20. Jahrhunderts prägte.
Geboren im
Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn 1893, geriet er als Soldat im 1. Weltkrieg in
russische Gefangenschaft. Auf dem Transport in ein sibirisches Lager sprang er
im Fernen Osten vom Zug und gelangte über Harbin nach Shanghai.
In dieser
bebenden, opiumverseuchten Metropole, wo man nicht so genau auf Biographien schaute,
konnte er sich in seinem erlernten Beruf als Architekt etablieren und schuf
Gebäude, die nicht nur heute noch stehen, sondern auch zu Landmarken des
historischen Shanghai geworden sind.
Hudec selbst
musste Shanghai 1947 nach der Machtübernahme der Kommunisten verlassen und
starb 1958 in Berkeley, Kalifornien.
Park Hotel, West Nanjing Road Fertiggestellt 1934, bis 1963 das höchste Gebäude Asiens. Als erstes Hochhaus Shanghais in Stahlskelettbauweise errichtet. |
Shanghai Savings and Loan Building, Sichuan Lu. Erbaut in den 1920`er Jahren. |
Chinese American Bank of Commerce, Jiangxi Road/Ningbo Road. Fertiggestellt 1924, heute Wohn- und Geschäftshaus |
Vielleicht
konservieren die historischen Gebäude rund um die Nanjing Lu auch die Aura
ihrer Bewohner, mit Sicherheit aber verführen sie dazu, sich auf Zeitreise zu
begeben.
Zurück in die
Tage des frühen 20. Jahrhunderts, als Shanghai Hauptquartier der Triaden, Zentrum
zweifelhaften Zeitvertreibs und Brennpunkt von Ideologien war.
In die Zeit
von Silas Aaron Hardoon (1851 – 1931) zum Beispiel, einem sephardischen Juden
aus Bagdad, der vor dem 1. Weltkrieg zum reichsten Mann Chinas, wenn nicht
sogar der Welt aufgestiegen war. Verheiratet mit einer angeblichen
Prostituierten, war er einer der wenigen Ausländer dieser Zeit, der die Chance
ergriff, Elemente der fernöstlichen Kultur in seinen Lebenstil zu integrieren.
Ein zwielichtiger
Charakter dagegen war Du Yuesheng (* 1887), Gangster und Anführer der Triade
„Green Gang“, unumschränkter Pate der französischen Konzession. Die vermeintlichen
Machthaber dort stellte er immer mal wieder mit Internas über die Unterwelt
ruhig. Die revanchierten sich mit rechtzeitigen Ankündigungen von Razzien,
damit Du seine Angelegenheiten vorher noch regeln konnte, wie zum Beispiel den
Tiger verschwinden zu lassen, an den er vorher eine seiner Geliebten verfüttert
hatte. Du Yuesheng starb 1951 in Hongkong, ohne sich jemals für seine Taten
gerechtfertigt haben zu müssen.
Leo Fleischer
aus Weißrußland war ein anderes halbseidenes Individuum der Metropole. Als überzeugter
Faschist und Besitzer des „Argentina“ führte er einen der verruchtesten
Nachtclubs der Stadt und richtete das Spektakel der Wahl zur „Miss China“ 1941
aus. Im Gegensatz zur spärlichen Garderobe der Girls stand die des jolenden
Publikums, denn Leo Fleischers Etablissement war der Treffpunkt japanischer
Besatzungsoffiziere und deutscher Botschaftsangestellten, die in vollem Naziornat
einliefen. Szenen wie in Bob Fosses Filmmusical „Cabaret“ müssen sich dort abgespielt
haben.
Welch Zeiten!
Bank of Canton, Jiangxi Lu, fertiggestellt 1933. Erbaut von Poy Gum Lee, einem amerikanischen Architekten aus New Yorks Chinatown. Er verband in seinen Entwürfen chinesische und westliche Einflüsse. |
Embankment Building, erbaut 1932 am Nordufer des Suzhou Creek. In den 30´er Jahren Zufluchtsort für aus Europa geflohene Juden. Damals im Besitz von Victor Sassoon, Lebemann und Philantrop, der ein Großteil seines Vermögens mit Opiumhandel verdiente. |
Amyron Appartements, Gaoke Lu, Franz. Konzession, 30´er Jahre. Im Terrazzobelag des Bodens das Zeichen des Architekten, Alexandre Leonard. Sein letztes Gebäude widmete er seiner großen Liebe, einer russischen Ballettänzerin. Nach dem Krieg verschwand er spurlos, nie wieder hat man von ihm gehört. |
Renji Hospital, früher Lester Hospital, Shandong Lu, erbaut 1932. Henry Lester (1839-1926) war einer der frühen westlichen Architekten in Shanghai, der es zu großem Wohlstand brachte. Ohne Nachkommen, vermachte er sein Vermögen wohltätigen Organisationen, die den Bau des Renji Hospitales davon finanzierten. |