Paris des Ostens

Vom frühen Glanz




1. Wilde Jahre am Jangtse Kiang


2. Art Decò am Ostchinesischen Meer


3. Laszlo Hudec


4. Menschen und Spuren





1. Wilde Jahre am Jangtse Kiang


Spätabends bei Livemusik im „House of Blues & Jazz“ oder nachmittags beim Kaffee im Jugendstilambiente des „Peace Hotel“ blitzt sie manchmal ganz kurz auf, die Ahnung an die Ära, als es in Shanghai hoch herging.

Es waren die 20´er und 30´er Jahre, der 1. Weltkrieg vorbei, am Horizont aber schon die nächste Katastrophe zu erahnen. Die Kolonialreiche bäumten sich noch ein letztes Mal auf und arrangierten sich mit der chinesischen Nationalregierung.

Franzosen, Engländer und Amerikaner hatten ihre Konzessionen, waren aber nur Statisten im Spiel der chinesischen Triaden; Shanghai war „Gangland“. Die westliche Fuzhou Lu macht heute auf harmlos mit Geschäften für Kunstbedarf und Accessoires für die Teezeremonie, damals aber war sie eine Ansammlung unzähliger Bordelle und Opiumhöhlen. Und klar, alle haben mitverdient.

1949 dann das Ende. Die Kommunisten übernahmen die Macht. Shanghai fiel in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst 40 Jahre später wieder erwachte, als Deng Xiaopings Politik der Öffnung begann.

Zeugen dieser wilden Jahre sind heute noch viele erstaunlich gut erhaltene Gebäude aus dieser Zeit. Steigen sie an der Station „East Nanjing Lu“ aus der U-Bahn und schlendern Sie durch die Seitenstraßen dort. Es ist eine Zeitreise!




Gao An Lu, ehem. Französische Konzession.
Beschaulich geht es in dieser Ecke Shanghais zu.


2. Art Decò am Ostchinesischen Meer

Prospektbilder von Shanghai zeigen Wolkenkratzer und breite Boulevards, moderne Glasfassaden, in denen sich Autos und Passanten spiegeln.

Das allerdings ist nur eine Seite der Medaille, und nicht mal die interessantere.

Viel eindrucksvoller finde ich die Jugendstilensembles auf der westlichen Seite des Huangpu-Flusses, an den Quer- und Parallelstraßen der  Zhongshan Lu; „The Bund“, wie diese Uferpromenade auch genannt wird.

Die Hochhäuser dort entstanden am Beginn des 20. Jahrhunderts, als Shanghai sich aufmachte, die Metropole Ostasiens zu werden.

Weltweit beschleunigten damals Elektrizität, Automobile und industrielle Massenproduktion das Leben in einem nie dagewesenen Tempo, dem der alte Historismus nichts entgegenzusetzen hatte. Als Reaktion entstand in Europa der Jugendstil, auch Art Déco genannt. In der Architektur traten Stahl und Beton an die Stelle von Natursteinen und Ziegeln.

In dieser Epoche begannen Europäer und Amerikaner die Hafenstadt Shanghai als Sprungbrett zur Erschliessung des chinesischen Hinterlandes auszubauen. Repräsentative, aber auch zweckmäßige Gebäude mussten her, um die Geschäfte abwickeln zu können, und internationale Architekturbüros nutzten die Chance.

Interessanterweise errichteten die Baumeister in Shanghai bis in die 40´er Jahre hinein Gebäude mit Jugendstilelementen, während in Europa nach dem 1. Weltkrieg der Bauhausstil begann, die dominierende Stilrichtung der Architektur zu werden.

Und weil in Shanghai während des Krieges vergleichsweise wenig zerstört wurde und die Kommunisten später lieber kulturell demolierten, haben viele der Jugendstilbauten bis heute überlebt. In den alten Stadtvierteln in Puxi, zwischen Huangpu River und Suzhou Creek, findet man daher Art Déco-Bauten auf Schritt und Tritt: säulenartige Fassadenelemente, „speed lines“ und geschwungene Linien.

Fahren Sie mit der U-Bahn bis „East Nanjing Lu“ und schlendern Sie durch die Seitenstraßen, durch Fuzhou Lu, Beijing Lu, Shanxi Lu und andere drumherum. Der Kontrast zu den modernen, immer gleichen Straßenschluchten anderer Stadtteile Shanghais kann größer nicht sein!




Cathay Grand Theatre, Huaihai Lu/Maoming Lu
Kino, erbaut 1932, Architekt C.H. Gonda



Wohnhaus, Jugendstil
Wuyuan Lu




Hotel "Broadway Mansions" eine der Jugendstil-Ikonen Shanghais. Fertiggestellt 1934, Architekten Palmer & Turner.
Davor die Garden Bridge über den Suzhou Creek, eingeweiht 1908, gebaut von der Cleveland Bridge & Engineering Company.
Noch 1996 stand an der südlichen Ufermauer in chinesischen Schriftzeichen die Mahnung: "Vergesst niemals den Klassenkampf".
Vergebens übrigens, wenn man sich das heutige Treiben in der Stadt anschaut.




Hamilton House, Fuzhou Lu/Jiangxi Lu, erbaut 1933.
ursprünglich Büro-, heute Wohnhaus, Architekten Palmer & Turner.
In der Eingangshalle hängen noch Namensschilder aus den 40´ern.




Später Jugendstil, Französische Konzession
Balkone eines Wohnhauses


3. Laszlo Hudec


Laszlo bzw. Ladislav Hudec, je nach Vereinnahmung durch Ungarn oder Slovaken, war der Architekt, der mit seinen Jugendstilbauten das Shanghai des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts prägte.

Geboren im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn 1893, geriet er als Soldat im 1. Weltkrieg in russische Gefangenschaft. Auf dem Transport in ein sibirisches Lager sprang er im Fernen Osten vom Zug und gelangte über Harbin nach Shanghai.

In dieser bebenden, opiumverseuchten Metropole, wo man nicht so genau auf Biographien schaute, konnte er sich in seinem erlernten Beruf als Architekt etablieren und schuf Gebäude, die nicht nur heute noch stehen, sondern auch zu Landmarken des historischen Shanghai geworden sind.

Hudec selbst musste Shanghai 1947 nach der Machtübernahme der Kommunisten verlassen und starb 1958 in Berkeley, Kalifornien.



Park Hotel, West Nanjing Road
Fertiggestellt 1934, bis 1963 das höchste Gebäude Asiens.
Als erstes Hochhaus Shanghais in Stahlskelettbauweise errichtet.



Shanghai Savings and Loan Building, Sichuan Lu.
Erbaut in den 1920`er Jahren.





Chinese American Bank of Commerce, Jiangxi Road/Ningbo Road.
Fertiggestellt 1924, heute Wohn- und Geschäftshaus



4.  Menschen und Spuren

Vielleicht konservieren die historischen Gebäude rund um die Nanjing Lu auch die Aura ihrer Bewohner, mit Sicherheit aber verführen sie dazu, sich auf Zeitreise zu begeben.

Zurück in die Tage des frühen 20. Jahrhunderts, als Shanghai Hauptquartier der Triaden, Zentrum zweifelhaften Zeitvertreibs und Brennpunkt von Ideologien war.

In die Zeit von Silas Aaron Hardoon (1851 – 1931) zum Beispiel, einem sephardischen Juden aus Bagdad, der vor dem 1. Weltkrieg zum reichsten Mann Chinas, wenn nicht sogar der Welt aufgestiegen war. Verheiratet mit einer angeblichen Prostituierten, war er einer der wenigen Ausländer dieser Zeit, der die Chance ergriff, Elemente der fernöstlichen Kultur in seinen Lebenstil zu integrieren.

Ein zwielichtiger Charakter dagegen war Du Yuesheng (* 1887), Gangster und Anführer der Triade „Green Gang“, unumschränkter Pate der französischen Konzession. Die vermeintlichen Machthaber dort stellte er immer mal wieder mit Internas über die Unterwelt ruhig. Die revanchierten sich mit rechtzeitigen Ankündigungen von Razzien, damit Du seine Angelegenheiten vorher noch regeln konnte, wie zum Beispiel den Tiger verschwinden zu lassen, an den er vorher eine seiner Geliebten verfüttert hatte. Du Yuesheng starb 1951 in Hongkong, ohne sich jemals für seine Taten gerechtfertigt haben zu müssen.

Leo Fleischer aus Weißrußland war ein anderes halbseidenes Individuum der Metropole. Als überzeugter Faschist und Besitzer des „Argentina“ führte er einen der verruchtesten Nachtclubs der Stadt und richtete das Spektakel der Wahl zur „Miss China“ 1941 aus. Im Gegensatz zur spärlichen Garderobe der Girls stand die des jolenden Publikums, denn Leo Fleischers Etablissement war der Treffpunkt japanischer Besatzungsoffiziere und deutscher Botschaftsangestellten, die in vollem Naziornat einliefen. Szenen wie in Bob Fosses Filmmusical „Cabaret“ müssen sich dort abgespielt haben.

Welch Zeiten!




Bank of Canton, Jiangxi Lu, fertiggestellt 1933.
Erbaut von Poy Gum Lee, einem amerikanischen
Architekten aus New Yorks Chinatown. Er verband in
seinen Entwürfen chinesische und westliche Einflüsse.



Embankment Building, erbaut 1932 am Nordufer des Suzhou Creek.
In den 30´er Jahren Zufluchtsort für aus Europa geflohene Juden.
Damals im Besitz von Victor Sassoon, Lebemann und Philantrop, der ein Großteil seines Vermögens mit Opiumhandel verdiente.




Amyron Appartements, Gaoke Lu, Franz. Konzession, 30´er Jahre.
Im Terrazzobelag des Bodens das Zeichen des Architekten,
Alexandre Leonard. Sein letztes Gebäude widmete er seiner großen
Liebe, einer russischen Ballettänzerin. Nach dem Krieg verschwand er spurlos, nie wieder hat man von ihm gehört.


Renji Hospital, früher Lester Hospital, Shandong Lu, erbaut 1932.
Henry Lester (1839-1926) war einer der frühen westlichen Architekten in Shanghai, der es zu großem Wohlstand brachte.
Ohne Nachkommen, vermachte er sein Vermögen wohltätigen
Organisationen, die den Bau des Renji Hospitales davon finanzierten.



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