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Hauptbahnhof Delhi, Abfahrt 22.00 Uhr, Nachtzug nach
Jaisalmer.
Wer es gern organisiert und übersichtlich mag, bleibt zu
Hause.
Denn wer einmal in Delhi einen Zug bestiegen hat, für den
gleichen die Bahnsteige im Frankfurter Hauptbahnhof den Korridoren einer AOK -
Rehaklinik.
Ein buntes Meer aus Saris, Kaftanen und Adidas-Jacken wabert
auf den Bahnsteigen, ab und zu geteilt von den Karren der Gepäckträger, die
sich, gleich den Eisbrechern im Packeis langsam die Massen teilend, nach vorne
bewegen.
Ein Typ in Pluderhosen nutzt das freie Gleis für einen Schiss
zwischen den Schienen und Wüstenbewohner mit Turban schauen stoisch ins
nächtliche Nichts, dahin, wo sich die Gleise in der Dunkelheit verlieren.
Dazu eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse aus den heiseren
Schreien der Teeverkäufer und den plärrenden Durchsagen aus den Lautsprechern,
immer wieder übertönt durch das Wummern der einfahrenden Dieselloks.
Bahnfahren in Indien ist ein Abenteuer, ein Erlebnis, das
seinesgleichen sucht.
Fliegen – das ist was für Lutscher.
![]() Ankunft am frühen Morgen in Jaisalmer |
Schon kurz hinter Delhi macht der Zug Strecke auf seiner
Reise in die Wüste, Richtung Westen, Richtung Pakistan.
Vorbei geht es an Städten wie Jaipur und Jodhpur, überragt von uralten Forts , die aus dem Fels zu wachsen scheinen, und deren Zugänge durch Tore geschützt sind, gespickt mit eisernen Dornen, um die Kriegselefanten der Gegner abzuhalten.
![]() Die "Pink City" Jaipur, benannt nach den rötlich gefärbten Hauswänden |
![]() Selbstbewußte junge Frauen in Jaipur | ![]() Stuckarbeiten in der Residenz des Maharadjas |
![]() Der "Palast der Winde" in Jaipur |
![]() Jodhpur, die "Blaue Stadt". Traditionell blau gestrichen sind die Häuser der Brahmanen, der ganz oben stehenden Bevölkerungsgruppe im hinduistischen Kastenwesen |
![]() Die atemberaubende Festung in Jodhpur | ![]() In Rajasthan geht der hinduistische Kulturkreis in den moslemischen über |
Brauner, leerer und vertrockneter wird das Land, das der Zug
auf seiner Fahrt nun durchfährt.
Und so langsam stellt sich die Leichtigkeit ein, die
entsteht, wenn kein Telefon klingelt, kein Termin drückt und kein Zeitgenosse
nervt. Den Marsalatee in der Hand, bei offener Waggontür auf dem Blechboden
sitzend und seinen Gedanken nachhängend, während über der Wüste die Sonne
aufgeht, das ist reisen um des Reisens willen.
Nicht mehr lange, und der Zug rumpelt ein in den Bahnhof von
Jaisalmer. Ein letztes Mal noch zischt die entweichende Luft aus den
Bremszylindern, ein langer Schritt vom Trittbrett des Waggons runter auf den
Beton des Bahnsteiges und das Ziel ist erreicht.
Wie aus einer Erzählung aus tausendundeiner Nacht erhebt
sich die Festung von Jaisalmer aus der Wüste, mysthisch, atemberaubend und
geheimnisvoll. Hier verliert sich das, was man sonst so mit Zivilisation in
Verbindung bringt. Eine letzte Oase, bevor das Dünenmeer der Wüste Thar
beginnt.
![]() Die Festung von Jaisalmer überragt die Wüstenstadt |
![]() Die Patwa-Havelis in Jaisalmer: Balkone aus geschnitztem Kalkstein | ![]() Kunstschätze in Hitze und Staub |
Die Abstände zwischen den Lehmhäusern werden bald größer, die
Müllhaufen an der Straße kleiner und Menschen verlieren sich nur noch selten
auf Wegen, die immer staubiger werden.
Unmittelbar hinter Jaisalmer beginnt die Einsamkeit der Wüste
Thar.
Die Sonne knallt mit voller Kraft vom Himmel, verbrennt
Geröllflächen und Sanddünen. Und trotzdem leben Menschen hier, wettergegerbte
Nomaden, Vorfahren der europäischen Sinti und Roma, die sich von Rajasthan aus vor
Jahrhunderten auf den Weg nach Westen machten.
Sanfter Tourismus ist heute das Business hier, Kameltouren
und Folkloreabende, alles aber dezent und sehr entspannt. Solche Touren in die
Wüste kann man in Jaisalmer fast überall buchen, Dinner am Lagerfeuer und
Zigeunerfolklore inclusive. Und wenn dann auch noch feuerrot über den Sanddünen
die Sonne untergeht, findet die Reise an den Rand der Zivilisation ihren
spektakulären Abschluß.
![]() Letzte Zeichen der Zivilisation in der Wüste Thar |
![]() Rajasthan ist der "Dhrom", das sagenumwobene Herkunftsland der europäischen Sinti und Roma |
![]() Sanfter Tourismus sorgt für bescheidenen Wohlstand |
![]() Sonnenuntergang in der Thar |
Rajasthan -und ich benutze den Superlativ bewusst- ist
einzigartig. Wenn Sie nur ein wenig abenteuerlustig sind, nachts nicht jedesmal
ein Himmelbett brauchen und auch sonst nicht zu empfindlich sind, fahren Sie
mit dem Zug durch Rajasthan.
Aber Vorsicht!
Wie auch bei anderen Reisen durch Indien kann
es eine sein, von der Sie verändert wieder zurückkommen.