Dongbei

Chinas kalte Ecke





1. Audi und der letzte Kaiser


2. Das Reich von Mandschukuo


3. Wolfsburg auf chinesisch


4. St. Petersburg im Osten


5. Der Blick nach Nordkorea




1. Audi und der letzte Kaiser

„Dongbei“, auf deutsch „Ost-Norden“, ist die Bezeichnung für die drei Provinzen am eiskalten nordöstlichen Ende Chinas. Von den großen Städten hier -Harbin, Changchun und Shenyang- ist die Entfernung nach Wladiwostok geringer als die in die chinesische Hauptstadt. Russisch, aber auch koreanisch und japanisch beeinflusst sind deshalb die Stadtbilder. Koreaner stellen einen Teil der Bevölkerung. Den Großteil aber machen die Man aus, die Mandschuren, nach denen das Gebiet früher auch genannt wurde. Die Japaner schließlich besetzten die Gegend Mitte des letzten Jahrhunderts, etablierten dort einen Staat ihres Gnadens und bauten die Schwerindustrie auf.

Die war dann nach dem Krieg das industrielle Herz der jungen Volksrepublik: Kohle, Stahl, Zement. Kein Wunder, daß hier nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes unter Deng Xiaoping Anfang der 80er Jahre westliche Konzerne schon früh Joint-Ventures bildeten. Volkswagen, Airbus und General Motors sind nur einige davon.

Und ein wenig wird man auch immer schadenfroh belächelt (oder man bekommt wenigstens tröstend auf die Schultern geklopft), wenn ein beruflicher Aufenthalt in dieser Region Chinas ansteht.

Sicher, die Industriestädte dort sind immer noch von ihrer sozialistischen Aura umgeben und hippe Kneipen gibt es in Shanghai. Dafür aber ist das Leben in Dongbei etwas weniger hektisch, überschaubarer, und es gibt viel zu entdecken!

Ja, es stimmt auch, die Wintermonate sind kalt, Temperaturen von unter -20°C sind dann keine Seltenheit. Aber durch ein relativ ortsfestes meteorolgisches Winterhoch scheint dann fast täglich die Sonne, und Schmuddelwetter wie in Deutschland kommt nicht vor.

Übrigens sind die Wohnungen in dieser Zeit durch Fernwärme auch angenehm temperiert. Wer jetzt meint, das sei doch selbstverständlich, dem lege ich mal einen Besuch im Januar in Shanghai nahe……

Falls Sie es bis jetzt noch nicht gemerkt haben: Ich bin gerne im Nordosten. Es ist so ganz anders dort als in den Metropolen an der Küste und ein Besuch ist sicher eine Bereicherung jedes Chinaaufenthaltes. Einige Anregungen finden Sie hier.





Winter in Dongbei, Oktober bis April


Sommer in Dongbei, Juni bis September



2. Das Reich von Mandschukuo


Kaum etwas läßt heute noch erahnen, daß die weit im Nordosten gelegene Industriemetropole Changchun einmal die Hauptstadt eines Staates war. Zwar nur die eines „Marionettenstaates“, wie die offizielle Geschichtsinterpretation der Volksrepublik feststellt, aber immerhin.

Bis 1945 war Changchun die Kapitale von Manchukuo, der japanisch besetzten Mandschurei. Als Staatsoberhaupt inthronisierten die Japaner Pu Yi, den 1912 gestürzten letzten chinesischen Kaiser. Sogar einen Palast stellten sie ihm zur Verfügung, wobei die Bezeichnung eigentlich ein wenig hochgegriffen ist. Das Gebäude war ein repräsentatives früheres Handelshaus und man wird den Eindruck nicht los, daß es lediglich als goldener Käfig für eine Marionette von Japans Gnaden diente.

Als Folge der Kapitulation der japanischen Armee war auch die Zeit Pu Yis abgelaufen. Er starb 1967 in Beijing, wo er nach diversen „Umerziehungen“ als Gärtner unter Protektion der kommunistischen Partei arbeite.

Seinen bescheidenen Regierungssitz in Changchun kann man heute besichtigen. Natürlich wird seine Geschichte durch die Brille der kommunistischen Staatsdoktrin dargestellt, doch ist die Ausstellung deutlich weniger ideologisch aufgeladen als zu erwarten wäre. Überall sonst in China wird die Zeit vor Mao meist totgeschwiegen oder völlig verzerrt dargestellt. Gerade deshalb bietet ein Besuch im Palast des letzten Kaisers in Changchun die Gelegenheit, selbst auf Spurensuche gehen zu können.





Der bescheidene Palast des Herrschers von Mandschukuo und
letzten Kaisers von China


Nachgestellte Szene im Palastmuseum: Pu Yi empfängt seine
Befehle vom japanischen Kommandeur



Japanische Monumentalarchitektur erdrückt von modernen Hochhäusern in der
Renmin Lu, Changchun.


 
Über dem alten Kultusministerium von Manchukuo weht heute die rote Fahne.
Changchun, Renmin Lu.


3. Wolfsburg auf chinesisch


Es gibt sie noch, diese Städte:  Sommerurlaub, wenn die Fabrik es vorgibt. Prosperität, wenn die Konjunktur boomt, Depression, wenn es mal nicht so ist. Männer, die aus der Maloche ihr Selbstverständnis ziehen und Geschäftsleute, die ihren Hauptumsatz beim Schichtwechsel einfahren.

Nein, das war nicht Rüsselsheim in den frühen achtziger Jahren – oder doch: Rüsselsheim, Wolfsburg, Flint, Ellesmere Port, Mlada Boleslav- Städte, die um eine Autofabrik gewachsen sind. Und es ist Changchun mit seinen Fabriken von FAW, Volkswagen und Toyota, in denen im Jahr mehrere hunderttausend Autos gebaut werden. Changchun verschlingt Stahl, Gummi und Farbe und spukt Autos aus.

Zusätzlich ist in Changchun auch noch die neuere Geschichte Chinas wie in einem Brennglas gebündelt: Monumentalarchitektur aus der japanischen Besatzungszeit, der Palast von Pu Yi, des letzten chinesischen Kaisers von Japans Gnaden und die „Straße der Befreiung“, die vor ein paar Jahren immer noch „Stalinboulevard“ hieß.

Und das ist es auch, was Changchun so interessant macht: Bodenständigkeit, harte Arbeit und Geschichte zum Anfassen. Ohne Schnörkel und Pathos, dafür unaufdringlich, aber direkt spürbar.

Und deshalb fühlte ich mich schnell, zumindest ein wenig, heimisch in Changchun, denn es hat mich in vielem an die frühen 80`er in meiner Heimatstadt Rüsselsheim erinnert. Naja, zumindest bis auf das Essen, denn das ist in Changchun viel besser.



 
Sanierte Wohnblöcke aus den 60´ern. Die in der 2. Reihe
sehen ganz anders aus.


Changchuns moderne Wohnviertel. Die rote Konstruktion im
Vordergrund ist übrigens ein Hydrant



Kneipen anderswo stellen Kunst aus, in Changchun nimmt man
dafür eine alte Fräsmaschine sowjetischer Bauart.


Auch das ist Changchun: Der Banruo-Tempel vor der Kulisse
eines modernen Wohnblockes.



4.  St. Petersburg im Osten


Sie gleichen sich fast alle, die modernen chinesischen Metropolen. Wenige Ausnahmen gibt es: Shanghai, Xiamen – und Harbin.

Sind die chinesischen Millionenstädte oft etwas langweilige Ansammlungen moderner viereckiger Wohnblocks, die sich um ein Einkaufszentrum gruppieren, dominieren in Harbin die Jugendstilfassaden des frühen 20. Jahrhunderts. Russen waren lange präsent in diesem Teil Chinas, kyrillische Schriftzeichen verbleichen heute an den Häuserwänden. Harbin war die Hauptstation an der „Mandschurischen Eisenbahn“, die die Verbindung von Sibirien zu den eisfreien Häfen an der Bohai-Bucht herstellte.

Die einst orthodoxe Sophia-Kathedrale im Zentrum Harbins illustriert heute als Museum die Geschichte und ist darüber hinaus eine beliebte Kulisse für Hochzeitsfotos. Ohne Schwierigkeiten ist es heute möglich, per Flugzeug oder Zug nach Harbin zu reisen, einen wirklich besonderen Ort in China.





Harbin, die Stadt des Eises. Hier augenscheinlich demonstriert
an der Jugendstilfassade der alten Zigarettenfabrik


Was die Zukunft bringt? Dieser Herr weß es ganz genau!
Kontakte kann ich gerne vermitteln.



Fassaden aus Harbins russischer Vergangenheit.



Die Kathedrale der Heiligen Sophia, heute der
Foto-Hotspot in Harbin.


Das Innere beherbergt ein sehenswertes Museum
über die Bedeutung der Stadt im frühen 20. Jahrhundert



Jugendstilornamente an einer Brücke über die Gleise der "Mandschurischen Eisenbahn".



5.  Der Blick nach Nordkorea


Die Blätter der Bäume färben sich gelb, am Nachmittag steht die Sonne schon tief und die Temperaturen sind angenehm – keine Frage, im frühen Herbst ist eine Tour zum Changbaishan am Schönsten.

Die Luft am Fuße des Berges ist dann so ganz anders als die in den chinesischen Metropolen: klar, frisch und aromatisiert. Man glaubt, in einem europäischen Mittelgebirge zu sein, doch tatsächlich befindet man sich in Nordostchina, etwa 450 km östlich von Changchun, unmittelbar an der nordkoreanischen Grenze.

Der Changbaishan, der „ewig weiße Berg“, ist ein ruhender Vulkan von ca. 2400 m Höhe. Zuletzt ausgebrochen vor ca. 250 Jahren, hat sich die Caldera seitdem mit Wasser gefüllt: der „Himmelssee“, der touristische Hotspot in Nordostchina.

Seinen Namen hat der Berg übrigens von den fast weißen Vulkanascheablagerungen im Gipfelbereich erhalten. Die ganze Gegend um den Berg ist einer der größten Nationalparks Chinas und Lebensraum für den asiatischen Tiger, wobei die Wahrscheinlichkeit, einen zu Gesicht zu bekommen, aber gleich null ist.

Am schnellsten zu erreichen ist das Gebiet über den kleinen Flughafen Changbaishan, der täglich von Changchun, Beijing und anderen nordchinesischen Städten angeflogen wird. Eine Erkundung des Changbaishan dauert einen vollen Tag und beginnt an einem der Eingänge im Westen oder Osten des Naturparks.Individualität ist zumindest offiziell in China nicht vorgesehen, auch beim Wandern nicht. Die Besuchergruppen werden deshalb in Bussen zur Bergstation gefahren, von wo aus es über 1500 Stufen steil nach oben zum Himmelssee geht. Wieder zurück an der Bergstation fährt der Bus noch einige schöne Stellen in den Wäldern ab, bevor er wieder den Parkeingang erreicht. Eigentlich keine schlechte Idee, denn so wird die Natur in Schutz genommen vor unkontrollierten Besucherströmen – die man als Einzelwanderer allerdings nicht umgehen kann.

Die allermeisten Touristen kommen aus Nordchina selbst, einige Russen sind dabei, Westler selten und dann meist die Expatriates aus den Industriestädten Changchun und Shenyang. Es ist eben ein beliebtes Ausflugsziel und die touristische Infrastruktur am Fuße des Berges wird auch noch ausgebaut.

Nichts desto trotz aber ist eine Tour zum Changbaishan ein tolles Naturerlebnis und eine kleine Flucht aus den Betonwüsten der chinesischen Städte, übrigens auch eine der wenigen Möglichkeiten auf Tuchfühlung zum nordkoreanischen Staatsgebiet zu gehen.




Tuffklippen im Nationalpark Changbaishan.




Mal rüberschwimmen? Nur zu! Auf der anderen Seite beginnt das Staatsgebiet von Nordkorea.....
Der "Himmelssee" in der Caldera des Changbaishan.



Hier irgendwo versteckt sich der sibirische Tiger.



Und nach der Tour gibt es Hühnereier, gekocht im heißen
Wasser einer Quelle am Changbaishan.



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