Bangkoks chinesisches Erbe

Drachentanz in Chinatown




1. Die 6. Generation


2. Neujahrsfest in Chinatown


3. Der Pate von Silom


4. Ein besonderer Park




1. Die 6. Generation


Über Jahrtausende war China sich selbst genug, Mittelpunkt der Welt im eigenen Selbstverständnis.

Grundlage dieser Überzeugung war die Hochkultur, die sich aus den bäuerlichen Gesellschaften am Gelben Fluß im Norden Chinas ausgebildet hatte. Diese „Gelbe Kultur“, der Ackerbau auf dem fruchtbaren Lößboden, war Fundament von Staat und Gesellschaft. Grund dafür, daß das Kaiserreich nach innen blickte und Errungenschaften von außen, wie z. B. die industrielle Revolution, komplett ignorierte.

Die sogenannte „Blaue Kultur“, Seefahrt und Überseehandel, hatte lediglich einen gewissen Einfluß in den südostchinesischen Küstenprovinzen Fujian und Guangdong, konnte sich aber nicht durchsetzen. Erst nach der erzwungenen Öffnung des Landes nach den verlorenen Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts setzte von dort aus die chinesische Emigration nach Südostasien und Nordamerika ein; die „Chinatowns“ in Bangkok, San Francisco und anderswo entstanden.

Was in diesem Zusammenhang heute weitgehend vergessen ist, ist, daß es auch in Deutschland ein Chinatown gab und zwar auf St. Pauli in Hamburg. Es lebten dort vor allem Menschen aus Wenzhou, einer Stadt an der Grenze der Provinzen Zhejiang und Fujian. 1938 kam es dann, wie es kommen mußte: Die Nazis lösten in der sogenannten „Chinesenaktion“ die Gemeinschaft unter propagandistischem Getöse auf.





Chinesischer buddhistischer Tempel am Anfang der Yaowarat Street, Chinatown Bangkok.




2. Neujahrsfest in Chinatown


Die größte ethnische Gruppe in Bangkok, ja in ganz Thailand, sind Menschen chinesischer Abstammung. Ihre Vorfahren emigrierten im 19. Jahrhundert nicht nur nach Thailand, sondern in viele Länder Südostasiens. Mehrheitlich waren es dabei Teochew-Ethnien aus der Gegend um die Stadt Chaozhou, Guangdong und Angehörige der Hakka-Volksgruppe aus Fujian.

Da die Zuwanderer sich meist nur auf den eigenen Clan verließen und staatlichen Strukturen gleichgültig gegenüberstanden, kam es oft genug zu Diskriminierungen. Unter diesem Eindruck bildeten die Chinesen auch räumlich eine enge Gemeinschaft, mit eigenen Tempeln, Läden und Sozialstrukturen.

„Chinatown“ ist deshalb immer noch ein gängiger Eintrag auf den Stadtplänen vieler Metropolen Südostasiens. Im Laufe der Jahre allerdings assimilierten sich die Chinesen. Doch auch heute noch sind sich in Bangkok mehr als 50% der Einwohner ihrer chinesischen Wurzeln bewusst.

Besonders offensichtlich wird das beim Drachentanz anläßlich des chinesischen Neujahrsfestes. Die Yaowarat-Straße in Chinatown wimmelt dann von Menschen, die in traditionell inspirierten Kleidern ausgelassen feiern.




Gestiftet von chinesischstämmigen Geschäftsleuten,
das Eingangstor zu Chinatown.


Rote Laternenschirme gehören zum chinesischen Neujahrsfest
wie das Feuerwerk zum westlichen.



Abends in der Yaowarat Street, der Hauptachse von Bangkoks Chinatown.



Drachentanz in Chinatown zum traditionellen
chinesischen Neujahrsfest im Frühjahr.


Die Kleider traditionell, das Smartphone modern;
kein Widerspruch im chinesischen Kulturkreis.




3. Der Pate von Silom


Gleich am Anfang macht er mir klar, wer hier das Sagen hat.

Breitbeinig, voller Testosteron und mit seiner Gang im Hintergrund versperrt er mir den Weg zu den Gräbern. Es ist seine Hood, und er ist hier der Chef.

Ich höre nur dumpfe Laute aus seinem Mund. Eine Sprache, die ich nicht verstehe. Verhandlung ist die einzige Option, die mir bleibt. Und so artikuliere ich in ruhigem Tonfall englische Sätze. Aufmerksam hört er hin und kommt auf mich zu, immer näher. Ich sehe das Weiße in seinen Augen, höre seine kurzen, flachen Atemzüge.

Die Sonne steht tief am Horizont, lange Schatten fallen auf den Beton. Zwei männliche Individuen stehen sich gegenüber. Beide warten auf den nächsten Schachzug.

Plötzlich rennt er auf mich zu.

Na ja, so kann ich ihn wenigstens besser sehen, den Anführer der Hundemeute. Die anderen Töhlen seines Rudels verziehen sich nun langsam. Einer pinkelt an einen umgestürzten Grabstein.

Mein neuer Buddy bezieht seinen Posten auf einer kleinen, halbverfallenen Backsteinmauer und verfolgt mit gespitzten Ohren jeden meiner Schritte. Es ist nun mal sein Job, so als Pate des Hunderudels auf dem alten Hakka-Friedhof im Stadtteil Silom.

Ein verwunschener Ort mitten im Geschäftsviertel von Bangkok. Überwachsene Gräber und umgefallene Grabsteine. Vergilbte Schwarz/Weiß-Fotos zeigen die Menschen, deren Körper hier liegen. Es sind Angehörige der Volksgruppe der Hakka. Ethnische Chinesen, deren Vorfahren vor fast 150 Jahren aus Fujian ins damalige Siam ausgewandert waren. Mehr als 30% aller Thais haben heute chinesische Vorfahren, in Bangkok noch weit mehr.

Der alte Hakka-Friedhof wird über kurz oder lang allerdings verschwinden. Zu wertvoll ist der Grund und Boden, neue Hochhäuser wachsen schon rundherum in die Höhe.

Wenn Sie die geisterhafte Stimmung noch spüren wollen, besuchen Sie diesen Ort. Der Eingang liegt an der Silom Road, Soi 9, um die Ecke der BTS-Station Chong Nongsi.





Ein Rest chinesischer Tradition mitten im modernen Businessdistrikt.



Ausgesucht wurde der Ort der Gräber nach den Vorgaben des Feng Shui.




4. Ein besonderer Park


Jogger drehen keuchend ihre Runden, alte Männer darunter, drahtig und fit. Tätowierte junge Poser nutzen den Spätnachmittag für einen Workout im öffentlichen Fitnessareal. Ein improvisiertes Café offeriert Red Bull, und Jugendliche in lässigen Klamotten trainieren slam dunks.

Nein, die Szenen spielen nicht auf einem Sportplatz, sondern auf einem Friedhof mitten im Hochhausdschungel Bangkoks.

Es ist der Teochew (auch Tae Chio) Chinese Cemetery nahe der BTS-Station Surasak, auch heute noch eine der Begräbnisstätten der chinesischen Community Bangkoks. „Teochew“ ist die Bezeichnung eines chinesischen Dialektes, abgeleitet vom Namen der Stadt Chaozhou im östlichen Guangdong und die Muttersprache vieler Auslandschinesen in Thailand, deren Vorfahren vor mehr als hundert Jahren dem rückständigen Kaiserreich entflohen waren.

Trotz den ganzen weltlichen Aktivitäten auf dem riesigen Friedhofsareal ist die Stimmung entspannt und erholsam; eine Oase zur Stimulierung der Lebensgeister inmitten der Hektik Bangkoks.

Und dafür ist so ein Platz doch da, zur Erbauung der Lebenden. Die Toten sind schon an einem anderen Ort, hoffentlich an einem besseren.




Mehr ein Park als ein Friedhof, mitten in Bangkok.



Das Grab muß schon Jahrzehnte alt sein.


Viele Auslandschinesen bekennen sich aktiv zum Buddhismus.



Angeblich spukt es auf dem Teochew-Friedhof...


... was die Jugendlichen aber nicht vom Steetball-Training abhält.



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